Interview mit Propst Philip Graffam

Erfahrungen und Einschätzungen zur zweistufigen Erdbestattung


Die evangelische Nordkirche bietet seit Februar 2022 in Mölln eine neue Form der zweistufigen Erdbestattung an: Der Körper wird in diesem Prozess mit technischen Hilfsmitteln innerhalb von 40 Tagen vollständig in Erde transformiert, diese wird dann im Anschluss in einem Grab beigesetzt. Die sogenannte „Reerdigung“ soll einen nachhaltigeren Umgang mit dem Tod ermöglichen. Philip Graffam, seit 2022 Propst im Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, berichtet im Interview von seinen Erfahrungen und gibt eine Einschätzung aus theologisch-ethischer Sicht.

Quelle: Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg
Quelle: Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg

Propst Graffam, wie sind Sie zu dem Projekt gestoßen?

Als das Projekt „Reerdigung“ in unserem Kirchenkreis einen Standort für die bevorstehende Pilotphase fand, war es uns als Kirche wichtig, dieses Friedhofsthema zu begleiten. Ich selbst hatte damals noch den Fokus eines Gemeindepastors und schwankte damit zwischen Neugier und Zweifel. Neben der technische Seite für ein solches neues Verfahren interessiert uns vor allem der ethische Gesichtspunkt, wie können wir als Christen hier mitgehen und Angehörige unterstützen, wie artikuliert die Bevölkerung einen zeitgemäßen Bedarf, Akzeptanz und Bedenken. 

 

Seit rund einem Jahr läuft das Pilotprojekt in Mölln. Was sind bisher Ihre bedeutsamsten Eindrücke und Erfahrungen?

Wir konnten vor allem feststellen, dass alle Themen rund um Abschied, Trauer und Bestattung neu diskutiert wurden, kirchenintern, aber auch in den Familien. Wir alle mussten uns plötzlich fragen, was wir uns vorstellen könnten, welcher letzter Weg uns in der Trauer helfen könnte oder wie wir Abschied gestalten möchten. Von der Bestattungsart über die Grabgestaltung bis hin zur Zeremonie und einer stimmigen Gedenkfeier. Der Standort Mölln ist dabei eher ein regionales Thema, neue Verfahren, wie eben z.B. die „Reerdigung“, sind im wahrsten Sinne des Wortes fruchtbarer Boden für ganz neue Denkansätze, Vorsorgeverfügungen oder einen möglichst unbefangenen Umgang mit der eigenen Endlichkeit.

 

 Hatten Sie dies so erwartet?

 Die Erwartung war vielleicht eher, dass in der Pilotphase technische Dinge ausgelotet werden, dass es dank wissenschaftlicher Begleitung neue Erkenntnisse geben würde, dass es diese Zeit braucht um ein innovativ klingenden Verfahren serientauglich zu machen. Das öffentliche Interesse haben wir als Kirchenkreis unterschätzt. Aber wir sehen in den einzelnen Komponenten und Phasen durchaus ökologische Vorteile – und damit einen Beitrag zum nachhaltigen Erhalt von Gottes Schöpfung. Gleichzeitig ist die kurze Zeit des Vergehens auch eine Herausforderung, die wir seelsorgerisch begleiten müssen und wollen. Letztendlich handelt es sich hier aber technisch um eine Erdbestattung – Erde zu Erde … – um einen bewussten Umgang mit dem verstorbenen Körper. Das ist so faszinierend wie auch sehr zeitgemäß in der Bestattungsvielfalt.

 

Wie geht es nach Beendigung des Pilotprojektes in Mölln weiter?

Wie sich das StartUp Meine Erde die Zukunft in Norddeutschland vorstellt oder plant ist für uns nicht relevant, wir sind als Kirchengemeinde oder -kreis nicht die Betreiber dieses Verfahrens. Kommt es aber nach der Pilotphase zu einer Zulassung des Verfahrens oder vielleicht sogar zu einer Anpassung des Bestattungsgesetzes in Schleswig-Holstein, werden wir Menschen, die diesen Weg für sich wählen, genauso begleiten wie bei allen anderen Bestattungs- und Beisetzungsformen.

 

Wie bewerten Sie die „Reerdigung“ und andere alternative Bestattungsformen aus ethischer Perspektive?

Es gehört zur christlichen Tradition in Deutschland, den ganzen Körper des Verstorbenen zu beerdigen. Das soll die christliche Auferstehungsvorstellung bekräftigen, nach der der ganze Mensch wieder aufersteht und heil werden soll, nicht nur seine Seele.

Für Pfarrerinnen und Pfarrer stehen die Wünsche der Verstorbenen und der Hinterbliebenen im Vordergrund, auch wenn sie sich für eine andere Bestattungsform als die Erdbestattung entscheiden. Eine Feuerbestattung widerspricht nicht dem Glauben an die leibliche Auferstehung und die „Reerdigung“ wird es auch nicht tun. Entscheidend ist die Zusage, dass Gott neues Leben entstehen lassen kann.

Allerdings werden wir, wie alle Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland in aller Regel auf einer Beisetzung an einem öffentlichen Ort bestehen, auch in den Bundesländern, in denen der Friedhofszwang aufgehoben ist. Der Grund: Jeder Mensch baut viele verschiedene Beziehungen in seinem Leben auf. Alle, die eine Beziehung zu dem Verstorbenen gehabt haben, sollen die Möglichkeit haben, Abschied zu nehmen, selbst dann, wenn sie sich mit den übrigen Angehörigen zerstritten haben. Anonyme Bestattungen sind ebenfalls möglich, auch wenn hier den Trauernden möglicherweise ein eindeutiger Ort für ihre Trauer fehlt.

 

Gibt es auch zurückhaltende oder kritische Stimmen? Und was entgegneten Sie diesen?

Ja, es gibt Kritik und vor allem viele Fragen, das sind aber Bereiche, die in der Verantwortung des Anbieters liegen. Uns und den staatlichen Stellen gegenüber wird jede durchgeführte „Reerdigung“ reportiert und dokumentiert, Fragen und mögliche Probleme werden diskutiert. Alle beteiligten Parteien pflegen einen ergebnisoffenen Dialog, nur so kann am Ende der Pilotphase ein möglichst klares Bild entstehen und Entscheidungen getroffen werden.

 

Ist die zweistufige Erdbestattung „die Erdbestattung der Zukunft“?

Die Gesellschaft fordert einen individuellen Umgang mit Bestattungen, in der Dienstleistung genauso, wie bei der seelsorgerischen Begleitung und in der Erinnerungskultur. Dem gegenüber stehen wir als Evangelische Kirche offen. Natürlich spielen heute Ökologie und CO2-Werte in allen Bereichen eine Rolle, die aktuellen Formen der Erdbestattung lassen sich auf unseren Friedhöfen weitgehen klimaneutral umsetzen, wem das wichtig ist kann diese Varianten für sich wählen. Wer Wald oder Wasser und eine Feuerbestattung für sich wählt, soll auch hier seine Ruhe finden. „Reerdigung“ kann als zweiaktige Variante der Erdbestattung das Angebot ergänzen – nicht mehr und nicht weniger.